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Munich for Future, gemeinsame Demonstration von Fridays for Future, Parents for Future und Scientists for Future, am 21. Juli 2019 (Henning Schlottmann/Wiki Commons, CC BY 4.0)

Wie verändert der Klimawandel die Demokratie?

Nachhaltigkeit und Demokratie – wie passt das zusammen? Die Antwort liegt in einer zeitgemäßen Idee der liberalen Demokratie und einem neuen „Republikanismus der Nachhaltigkeit“, argumentiert Felix Heidenreich, Autor der Studie „Wie verändert der Klimawandel die Demokratie?“

Themenfelder:
  • Druckfrisch
  • Essay
  • Gesellschaft
  • Politik

Wahrheit oder Mehrheit

Im vergangenen Bundestagswahlkampf waren die Themen Klimapolitik und Klimaanpassung fast völlig verschwunden. Die anhaltende Wirtschaftskrise, das durch Terroranschläge eskalierende Migrationsthema, die hohen Mieten, die kaputte Bahn, nicht zuletzt die geopolitische Lage – all diese Probleme waren drängender als die offene Frage der „großen Transformation“. Ob und wie Deutschland ins postfossile Zeitalter kommt, schien plötzlich zweitrangig.

Einerseits ist diese Konzentration auf das Drängendste verständlich. Die Wirtschaftsdaten sind beunruhigend, die Aufgabe einer europäischen Eigenständigkeit so offensichtlich wie nie zuvor. Andererseits kann die Verschiebung des Fokus angesichts der apokalyptisch anmutenden Bilder aus dem Ahrtal, aus Valencia oder Los Angeles durchaus überraschen. Dass unsere Städte zu Schwammstädten werden müssen, dass wir uns auf Dürreperioden, Hochwasser und andere Extremwetterereignisse vorbereiten müssen, sollte eigentlich hinlänglich bekannt sein. Längst treibt der Klimawandel – nicht nur bei Kaffee und Kakao – auch die Inflation.

Der Triumph des Trumpismus in den USA und anderen Ländern kann vor diesem Hintergrund als Sieg des Lustprinzips über das Realitätsprinzip gedeutet werden. Trumps demonstrative Enthemmung, seine Grobheiten und Regelübertretungen, veranschaulichen eine Regression im ursprünglichen, Freudschen Sinne: Statt sich realistisch mit den Realitäten zu befassen, phantasiert man davon, den friedlichen Nachbarn im Norden zu einem neuen Bundesstaat zu machen. Eine verschlingende Lust an der Landnahme richtet den Blick auf Kanada, Grönland, Panama, ja bei Elon Musk gar auf den Mars. Den Klimawandel systematisch zu leugnen den fossilen Lebensstil demonstrativ zu verherrlichen („Drill, baby, drill!“) sind nicht etwa akzidentielle Schrulligkeiten des Trumpismus, sondern ideologisches Kernelement einer globalen Bewegung, die sich die EU zum Feind erkoren hat. 

Man könnte angesichts dieser Lage schnell zu dem Verdacht gelangen, Nachhaltigkeit und Demokratie seien nicht vereinbar. Denn jede Partei scheint letztlich vor die Wahl gestellt, sich zwischen Wahrheit oder Mehrheit zu entscheiden. Eine Klimapolitik, die sich auf der Höhe der Herausforderung bewegt, müsste es wagen, auch den Lebensstil und die Konsumgewohnheiten der Bevölkerung und damit der Wähler/innen in Frage zu stellen – und würde damit notwendig ins politische Abseits geraten. 

Was heißt: liberale Demokratie? 

Rätselhaft bleibt dann aber, warum es – von Kopenhagen bis Tübingen – ja durchaus Beispiele für gelingende und zugleich demokratische Klimapolitik gibt. Ganz offenbar können Nachhaltigkeit und Demokratie durchaus zusammenpassen. Aber wann und warum gelingt diese vermeintliche Quadratur des Kreises? Was sind die – auch begrifflichen! – Voraussetzungen demokratischer Nachhaltigkeit?

Der erste konzeptionelle Schritt besteht darin, ein spezifisches, verengtes Verständnis von Demokratie zu hinterfragen und so eine Art optische Täuschung aufzulösen, die durch eine unterkomplexen Demokratiebegriff entsteht. Dazu wäre zu hinterfragen, was unter der „liberalen Demokratie“ zu verstehen ist. 

Dieser Begriff – liberale Demokratie/ liberal democracy – bildet bekanntlich das Leitbild jener, die sich dem globalen Trumpismus entgegenstellen. Wenn von „wehrhafter Demokratie“ die Rede ist, meint man in der Regel die Verteidigungsfähigkeit einer freiheitlichen, offenen, pluralistischen Demokratie. Es ist daher nur folgerichtig, dass beispielsweise Viktor Orbàn sein Regime als „illiberale Demokratie“ bezeichnet. 

Aber der Begriff der liberalen Demokratie ist – wie vor allem Philip Manow gezeigt hat – durchaus zu hinterfragen. Nicht immer wird er sauber verwendet und bisweilen auch aufgeladen mit durchaus hinterfragbaren Inhalten. Vor allem die Vermengung von strukturellen Eigenschaften einer demokratischen polity (Menschen- und Bürgerrechte, Gewaltenteilung, Rechtstaatlichkeit, Meinungspluralismus) mit bestimmten liberalen policies (liberalisierte, entgrenzte Märkte, liberale Migrationspolitik, Primat von Entfaltungsrechten, Verrechtlichung) ist problematisch. Die strukturell liberale Demokratie verbindet sich im schlimmsten Fall mit der neoliberalen Vorstellung eines minimalen Staates, der sich zum einen für die Verlierer von Globalisierungsprozessen nicht interessiert und zum anderen linken Multikulturalismus mit rechter Marktradikalität kombiniert.

Fatal ist diese begriffliche Verwirrung, weil sich unter diesen Vorzeichen nur noch das Modell einer illiberalen Volkssouveränität (Trumpismus) und die postdemokratische Expertokratie gegenüberstehen: Entweder man reduziert den Demokratiebegriff auf die Entscheidungsmacht der Mehrheit (was in die Orbànsche Illiberalität führt), oder man verteidigt eine „liberale Demokratie“, die viele Bürgerinnen und Bürger mit der Entmachtung des demokratischen Staates, mit der Herrschaft der Gerichte und Märkte, mit der Europäisierung von Entscheidungen verbinden. Im Konflikt von Ursula von der Leyen und Viktor Orbàn wird diese Dichotomie anschaulich: Auf der einen Seite eine Expertin, die nie zur Wahl stand, auf der anderen Seite ein Volkstribun, der den Rechtstaat angreift.

Aus dieser unproduktiven Dichotomie, in der jede kollektiv bindende Entscheidung schon freiheitsgefährdend und daher undemokratisch erscheint, findet man nur heraus, wenn man die zwei Ebenen der „liberalen Demokratie“ sauber trennt: Zum einen gibt es das liberale Gefäß, die Struktur, die polity; zum anderen aber lässt sich im Rahmen einer strukturell liberalen Demokratie auch ein republikanisches Demokratieverständnis umsetzen, das kollektiv bindende Entscheidungen im Namen der Res publica für legitim hält: Politik kann nicht-liberal sein, ohne illiberal zu sein.

Republikanismus der Nachhaltigkeit

Wie so ein Republikanismus der Nachhaltigkeit konkret aussehen kann, lässt sich an einem aktuellen Beispiel veranschaulichen: Im März 2025 stimmten die Bürger/innen von Paris dafür, in den kommenden Jahren weiter 500 Straßen autofrei zu machen. Man rechnet damit, dass 10.000 Parkplätze wegfallen werden. Voraussichtlich werden in jedem der 20 Arrondissements 25 Straßen autofrei. 

Nicht etwa „die da oben“ haben entschieden, den Weg der nachhaltigen Mobilität einzuschlagen. Was die Abstimmung zeigt, ist eine kollektive Selbstbindung. Freiheit wird hier verstanden nicht etwa als Ungebundenheit, sondern als kollektive Selbstbindung. Da die Adressat/innen der Regeln sich zugleich als Autor/innen der Regeln erleben können, haben wir es nicht mit Heteronomie zu tun, sondern mit kollektiver Autonomie, Selbstgesetzgebung im Wortsinn. Nicht ein anonymer Jemand verbietet den Autoverkehr in 500 Straßen, sondern wir verbieten uns dies.

Nun glänzt bei näherer Betrachtung auch das Beispiel aus Paris nicht ganz so hell, wie man es sich wünschen könnte. Nur vier Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung. Dennoch blieb ein Effekt aus, den man in Deutschland sofort erwarten dürfte, nämlich der erboste Protest von Autofahrer/innen, die sich in ihrer Freiheit eingeschränkt sehen. Wer in liberaler Tradition Freiheit als Abwesenheit von Einschränkung betrachtet („freedom as non-interference“ heißt es in der englischsprachigen Debatte), dem wird tendenziell jede Staatstätigkeit verdächtig vorkommen. Versteht man Freiheit indes als die Bindung an gemeinsam vereinbarte Regeln, lässt sich auch in einer liberal verfassten polity eine republikanische policy umsetzen.

Ob, wie und vor allem wie schnell die Wiederentdeckung dieser Demokratiekonzeption von kommunaler Ebene beginnend wiederentdeckt wird, können wir nicht wissen. Dass die Resilienz republikanischer verfasster Gemeinwesen höher ist als diejenige von liberalen oder libertär gedachten Vereinigungen bloßer Nutzenmaximierer, ist indes eine plausible Vermutung. Wer sich, wie Margaret Thatcher, gar keine Gesellschaft als handelndes Subjekt vorstellen kann („There is no such thing [as society]!“, lautete ihre berühmte Behauptung), dürfte Schwierigkeiten haben, die Wehrhaftigkeit einer nicht-existenten Gesellschaft zu organisieren. Im besten aller Fälle könnten wir auf eine Konvergenz von ökologischen und sicherheitspolitischen Resilienzbestrebungen hoffen: Sowohl für die klimapolitischen, als auch für die sicherheitspolitischen Herausforderungen ist ein republikanisches Demokratieverständnis die vielversprechende Alternative.

Buchcover der Studie "Wie verändert der Klimawandel die Demokratie?"

Druckfrisch: Die Kleine Reihe 45 von Felix Heidenreich

Die Klimakrise bedeutet nicht allein eine ökologische, sondern eine politische und gesellschaftliche Zäsur. Ihre Folgen für die Demokratie und ihre Gesellschaften sind nicht zu übersehen. Wie Demokratien auf diese Herausforderung reagieren können und ob sie bestehen können, ist nicht ausgemacht. 

Felix Heidenreich gibt drei mögliche Antworten, wie der Klimawandel die Demokratie verändern kann – und bietet vier Thesen an, wie demokratische Gesellschaften die »große Transformation« selbst gestalten können: durch einen Republikanismus der Nachhaltigkeit, der die Grenze von öffentlichen und privaten Gütern neu zieht; durch ein strategisches Handeln der Regierungen, das konsequent die Zukunft mitdenkt; durch ein Denken in Wechselwirkungen, dass politisches Handeln prägt; und durch eine neue Art der Kooperation zwischen Staat und Gesellschaft.

Zur Kleinen Reihe 45

Felix Heidenreich ist Philosoph und Politikwissenschaftler. Er lehrt als außerplanmäßiger Professor an der Universität Stuttgart und arbeitet als wissenschaftlicher Koordinator des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung (IZKT). Zu den Schwerpunkten seinen Forschungsthemen gehören das Verhältnis von Demokratie und Nachhaltigkeit, politische Emotionen und aktuelle demokratietheoretische Fragen. 

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