- 14. April 2025
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Die weltweiten Erfolge der extremen Rechten bereiten vielen Menschen Sorge. Monate lang gingen wöchentlich Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger auf die Straße, um auf die Gefahr des Rechtsextremismus in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Begleitet wurden die Demos von Diskussionen über „Brandmauern“ und den richtigen Umgang mit Rechtsaußen, von Debatten darüber, ob man die Rechten mit einer härteren Migrationspolitik aufhalten könne, und fast täglichen Meldungen aus den USA, wo ultrarechte Kräfte damit begonnen haben, eine der ältesten Demokratien der Welt nach autoritärem Drehbuch umzubauen. Lange war „Rechtsaußen“ nicht mehr so präsent wie heute.
Grund genug für das Theodor-Heuss-Haus, sich diesem Thema zuzuwenden. In unserer Schwerpunktreihe fragen wir in Vorträgen, Diskussionen, in Ausstellungsführungen und in Workshops für Jugendliche nach dem Ort der autoritären Rechten in unserer Gesellschaft: Wie groß ist die Gefahr und wie können wir ihr begegnen? Welche historischen Kontinuitäten und Brüche lassen sich erkennen – und können wir aus der Geschichte etwas für den Umgang mit autoriären Kräften heute lernen? Ziel ist es, einige Schlaglichter auf die Rolle der extremen Rechten in Geschichte und Gegenwart zu werfen.
Marginalie der Geschichte?
Die Schwerpunktreihe greift damit ein Thema auf, das in der bundesdeutschen Geschichte lange Zeit als Randphänomen beschrieben worden ist. Als eine Marginalie in der „Erfolgsgeschichte Bundesrepublik“. Dabei spielte die extreme Rechte gerade in der Anfangszeit der Bundesrepublik eine große Rolle. Nicht nur bestanden anfangs gleich mehrere Parteien, die versuchten, die Nachfolge der NSDAP anzutreten und frühere Nationalsozialisten und ihre Familien als Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Auch die Partei von Theodor Heuss, die FDP, erlebte im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Nationalisten – bis hin zum Versuch ehemaliger Nationalsozialisten, die Partei gezielt zu unterwandern. Bundespräsident Heuss erreichten in diesen Jahren immer wieder Briefe von besorgten Bürgerinnen und Bürgern, die sich vor einer Rückkehr des „Nazigeistes“ in der westdeutschen Gesellschaft fürchteten. Zugleich suchte Heuss, auf möglichst diskreten Wegen auf die politischen Parteien einzuwirken, um den Einfluss der Rechten zu begrenzen.
Auch die Erfahrungen der Weimarer Zeit spielten nach 1945 eine wichtige Rolle. War die erste deutsche Demokratie an den Extremen zugrunde gegangen, an der antidemokratischen Einstellung alter Eliten – oder am mangelnden Kampfgeist der Demokratinnen und Demokraten? Hätte der Aufstieg des Nationalsozialismus aufgehalten werden können? Darauf blicken wir u.a. in der neuen Themenführung „Demokrat gegen Rechtsaußen. Theodor Heuss und die extreme Rechte“, und es war auch eine zentrale Frage der Buchvorstellung „Schicksalsjahr 1925. Als Hindenburg Präsident wurde“ mit Wolfgang Nieß.
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Im Vergleich dazu ging es der Bundesrepublik lange gut: Während sich andere Länder in Europa mit der Präsenz alter und neuer Rechtsaußenparteien auseinandersetzen mussten, schien die Bundesrepublik, nach den Affären und Debatten des ersten Jahrzehnts – und nach dem Verbot der rechtsextremen „Sozialistischen Reichspartei“ – weitgehend verschont. Zwischenzeitige Erfolge von Neonazi-Parteien schienen immer nur von kurzer Dauer: So etwa die Erfolge der NPD in den 1960er Jahren, die es in sechs westdeutsche Landtage schaffte. Oder die Erfolge der Republikaner in den 1980er und 1990er Jahren, die hier in Baden-Württemberg 1992 über 10 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl gewannen. Die Geschichte dieser Partei wurde unlängst in einer Studie von Moritz Fischer aufgearbeitet und in unserer Schwerpunktreihe vorgestellt.
Daneben kam es auch immer wieder zu rechtsterroristischen Anschlägen, die in der öffentlichen Wahrnehmung aber ganz im Schatten der linksextremen Gewalt der RAF und anderer Gruppen stand. Auch diesem Thema wird sich die Schwerpunktreihe zuwenden.
Diese westdeutschen Traditionen wurden nach der Wiedervereinigung der Bundesrepublik mit der DDR schnell vergessen. Nun schien rechter Extremismus im politischen Diskurs und in der gesellschaftlichen Debatte ein ostdeutsches Phänomen zu sein, das wahlweise auf die langen Diktatur-Erfahrungen der Ostdeutschen oder auf die Verwerfungen der demokratisch-kapitalistischen Transformation zurückgeführt wurde. Die Erfolge von NPD und DVU in Ostdeutschland, die partielle Hegemonie extrem-rechter Strömungen in manchen Kommunen und die Gewalt-Exzesse der sogenannten „Baseballschlägerjahre“ erschienen vor diesem Hintergrund als ein Übergangsphänomen, das sich mit dem Zusammenwachsen von Ost und West irgendwann auflösen würde. Also ebenfalls eine Marginalie.
Man hätte es besser wissen können. Denn außerhalb Deutschlands hatten neue “rechtspopulistische” Parteien längst an Bedeutung gewonnen.
Populisten und die Schwächen der Demokratie
Dabei hätte man es besser wissen können. Denn außerhalb Deutschlands hatten neue, „rechtspopulistische“ Parteien schon seit den 1970er und 1980er an Bedeutung gewonnen. Während neue migrationsfeindliche Parteien zunächst in den nordischen Ländern entstanden und mit populistischer Rhetorik auch in unseren unmittelbaren Nachbarländern Politiker wie Jörg Haider oder Jean-Marie Le Pen Erfolge feiern konnten, fragte man sich in Deutschland bange, wann es bei uns so weit sein würde. Heute ist dieses Szenario eingetreten und die autoritäre Rechte scheint in Deutschland, in Europa und weltweit auf dem Vormarsch. Während es in Europa kein einziges Land mehr gibt, in dem „Rechtsaußen“ nicht im Parlament vertreten ist, haben sich rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien im Europäischen Parlament gleich in drei unterschiedlichen Fraktionen organisiert und stellen etwa ein Viertel der Mitglieder.
Aber worin liegen die Gründe für die rechten Erfolge? Noch immer stellt dies eine Streitfrage auch in der politischen Wissenschaft dar. Sind es ökonomische Gründe wie die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg, die die rechten Erfolge erklären, oder haben wir es mit kulturellen Problemen zu tun? Dass die Antwort in den Defiziten unserer Demokratie selbst liegt, haben vor ein paar Jahren die beiden Politikwissenschaftler Armin Schäfer und Michael Zürn in ihrem Buch „Demokratische Regression“ vertreten. Demnach spielt das Versagen der liberalen Demokratien bei der Repräsentation großer Teile der Bevölkerung eine zentrale Rolle. Aber stimmt das? Und wenn ja: was können wir dann tun? Diese Frage stellten wir dem Autor Armin Schäfer in der Eröffnungsveranstaltung unserer Reihe.
Politisch Verantwortliche wiederum – und mit ihnen wir alle als Bürgerinnen und Bürger – stehen vor der Frage, wie sie dem Vordringen rechtsextremer Ideologien in unserer Gesellschaft begegnen sollen: Durch annähern oder abgrenzen? Durch einbinden und „entzaubern“, wie viele meinen? Oder durch ausgrenzen oder gar durch Verbote, so die anderen? Wie reagiert eine liberale Demokratie darauf, wenn ihre Gegner auf demokratischem Weg, nämlich durch Wahlen, an Bedeutung gewinnen?
Wir diskutieren, wie wir Hass und Hetze entgegentreten können, ohne unsere liberale Gesellschaft und ihre Offenheit aufzugeben.
Offene Gesellschaft verteidigen
Auch die Geschichtswissenschaft ist gefordert, sich mit rechtsextremen Strategien auseinanderzusetzen, gehört doch die Umdeutung der Geschichte fest zu deren Arsenal: wenn Nazis zu Linken erklärt werden, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zum Denazifizierungsprojekt oder der Nationalsozialismus und mit ihm der Holocaust zum „Vogelschiss der Geschichte“. Was würde eine „erinnerungspolitische 180-Grad-Wende“ bedeuten, wie sie inzwischen gefordert wird? In unserer Reihe setzen wird uns auch mit diesem „Krieg“ gegen Geschichte und NS-Erinnerung auseinander, der dazu beiträgt, die Werte der liberalen Demokratie zu untergraben.
Um diese zu schützen, wird es auch weiterhin einen gemeinschaftlichen Schutz unserer Verfassung bedürfen. Welche Rolle dabei die Verfassungsschutzbehörden spielen – und welche die Bürgerinnen und Bürger – fragen wir die Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, Beate Bube. Und gemeinsam wollen wir diskutieren, wie wir uns selbst im Alltag verhalten können, um Hass und Hetze entgegenzutreten, ohne unsere liberale Gesellschaft und ihre Offenheit aufzugeben.